"Alles Anerkennung und Aufmerksamkeit an einem Ort"

Noch bevor in 528 Bewerben in 22 Sportarten in Rio Edelmetall vergeben wird möchten wir noch die 3-fache Goldmedaillengewinnerin Andrea Scherney in einem kurzen Interview zur Faszination und Zukunft der Paralympics sowie der Bedeutung des Spitzensports für Menschen mit Behinderung fragen.

Andrea Scherney ist Sportdirektorin von Para-.Sport Austria Österreichischer Behindertensportverband. Sie holte 1996 in Atlanta, 2004 in Athen und 2008 in Peking dreimal Gold, einmal im Speerwurf und zweimal im Wetsprung. Heute ist sie außerdem Lehrbeauftragte an der Universität Wien und der Sportakademie Wien.

Was ist das Besondere an den Paralympics?

Andrea Scherney: Das Außergewöhnliche, das Schöne, ist sicherlich die Tatsache, dass sich soviele Athleten, Zuschauer und auch Medien, was du normalerweise nicht hast, an einem Ort treffen. Wenn ein Sportler oder eine Sportlerin dabei sein kann, dann kann er oder sie das fast Vollkommene aus sportlicher Sicht erleben. Die Faszination ist die Veranstaltung selbst, wo sich der Sport von Menschen mit Behinderung zentriert darstellt. Es zentriert sich alles an Anerkennung und Aufmerksamkeit an einem Ort.

Was bedeutet dies für die Athleten?

Andrea Scherney: Die Paralympics haben sich zu einem Event zugespitzt, wo sich alles Sportliche zentriert darstellt. Diese Veranstaltung wird zelebriert, eine in 4 Jahren, es gibt in diesem Zeitraum keine vergleichbare Veranstaltung - Welt- und Europameisterschaften sind mit Paralympics nicht vergleichbar. Ob jetzt der einzelne Wettkampf anders erlebt wird als z.B. bei Welt- und Europameisterschaften muss sportlich nicht sein, da Weltmeisterschaften oftmals sehr gut organisiert und besetzt sind. Man geht aber anders an den Bewerb heran, der Sportler wird immer sagen, das war mein wichtigster, mein tollster Wettkampf. Die Anerkennung als Olympiasieger danach ist unvergleichlicher als wenn du Weltmeister wirst. Langfristig bleibt in der Öffentlichkeit der Olympiasieg hängen.

Als Sportdirektorin des ÖBSV und selbst dreifache Paralympicssiegerin muss ich Dir die Frage stellen, was erwartest Du von den Spielen?

Andrea Scherney: Ich wage es schon eine Medaillenprognose zu machen, zwischen 7-8 Medaillen. Die Medaillenbilanz von London mit 13 Medaillen zu erreichen wird schwer. Man darf ja nicht vergessen, dass u.a. Bewerbe weggefallen sind, d.h. unsere Athleten haben nicht mehr die Wahl z.B. zwischen zwei Bewerben auszuwählen - z.B. Matzinger, Swoboda, Geierspichler. Für den Wettkampf heißt dies, bei dem einen Bewerb muss alles optimal laufen, um eine Medaille zu gewinnen. Auf der anderen Seite können manche Athleten nicht immer bei ihrem Lieblingsbewerb antreten, z.B. Bil Marinkovic als Weltrekordhalter im Speerwurf tritt im Diskusbewerb an. Oder, dass wir im Triathlon unseren besten Triathleten Oliver Dreier gar nicht mitschicken können, da diese Klasse PT3 derzeit gerade nicht im paralympischen Programm aufscheint.

Eigentlich schade, dass nicht alle guten Sportler bei den Paralympics antreten können?

Andrea Scherney: Eigentlich kann man dies alles unter dem Begriff Selektion verpacken. Es entscheidet sich sehr viel, ob du gerade die richtige Behinderung für den richtigen Bewerb hast, welchen du talentiert gerade machen willst. Dies wird immer enger, es steigen die Zufälligkeiten, ob man gerade in ein Sportsystem und/oder in ein paralympisches Programm passt.

Was kannst Du in den letzten 4 Jahren in der Entwicklung des Spitzensports beobachten?

Andrea Scherney: Was sehr stark dazu gekommen ist, ist das Individualtraining und die Optimierung des eigenen Umfeldes. Viele, die in das System passen, Talent haben und Spitzensport zu ihrem Leben gemacht haben, versuchten jetzt noch das passende Umfeld darauf zu setzen. Hier wird es sicherlich noch Steigerungen und weitere Entwicklungen geben, früher hat es eher Gruppentraining, kaum Individualtraining gegeben.

Wir sind bei den Paralympics in neun von 22 Sportarten vertreten. Siehst du Potential, dass es hier in Zukunft eine Steiergung gibt?

Andrea Scherney: Nehmen wir das Beispiel Rudern her, hier haben wir uns das auch nicht so schnell gedacht. Das Team ist über eine Wildcard aufgenommen worden, weil es eine ganz neue Sportart ist. Es werden in Zukunft nicht immer nur die Besten bei den Paralympics teilnehmen, sondern jene Athletinnen und Athleten von Sportarten, wo gerade ein Bewerb am Programm steht. Es stellt sich in Zukunft auch die Frage, ob es sinnvoll ist neue Sportarten so rasch wie möglich bei den Paralympics einzuführen, im Gegensatz werden abere andere Sportarten wie z.B. die Leichtathletik ausgedünnt. Man sollte sich schlussendlich schon überlegen, wie soll das Programm über Jahre hinweg ausschauen, und nicht nur die nächsten vier Jahre!

Was heißt dies nun in der Zusammenarbeit mit den Fachverbänden? Wurde doch mit dem BSFG 2013 die Inklusion auch über die Sportfachverbände niedergeschrieben.

Andrea Scherney: Ich denke, dass die Arbeit in den Fachverbände jenen Fokus hat, paralympisch zu werden. Es gibt aber noch viele Sportarten, die wir noch gar nicht angesprochen haben, d.h. wir können gar nicht alle Sportarten bei den Paralympics anbieten. Will ich bei den Paralympics zeigen, welche Vielfalt es an Sportarten gibt, die Menschen mit Behinderung betreiben können oder will ich nur jene Sportarten anbieten, wo hochkarätige Leistungen in verschiedenen Disziplinen und Bewerbe erbracht werden. Wir sind in einem ständigen Prozess, 2020 ist Para-Taekwondo olympisch, Segeln aber nicht mehr. Inklusion bringt mit sich, dass man durch die internationalen Fachverbände beabsichtigt, mit den inkludierenden Sportarten in das Paralympische Programm aufgenommen zu werden.

Was heißt dies nun in kurzen Worten für die Paralympics?

Andrea Scherney: In naher Zukunft wird sich ein kluger Kopf überlegen müssen, was die Paralympics in Zukunft sein sollen. Ansonsten wird es eine Lotterie zu sagen, den einen Athleten habe ich gerade, den bereite ich vor, weil in vier Jahren ist diese oder jene Sportart paralympisch!