"Auch im Behindertensport Erfahrungsaustausch und gezielte Steuerung wichtig"

Ein Gespräch mit Dr. Christoph Etzlstorfer. Etzlstorfer wurde 1963 in Linz geboren, hatte 1981 einen Unfall im Schulturnen, der eine Querschnittlähmung zur Folge hatte. 1997 Abschluss der Trainerausbildung für Allgemeine Körperausbildung. 1996 und 2004 Sportler des Jahres in Oberösterreich. X-facher WM- und EM-Medaillengewinne, u.a. Gold und Bronze bei den Paralympics 2004 in Athen, acht Paralympics Teilnahmen von 1984-2012. Seit 1991 Assistent am Institut für Organische Chemie in Linz. Obmann des RSC heindl OÖ (Rollstuhl-Sportclub mit derzeit rund 130 Mitgliedern). Vize-Präsident des OÖ-Behindertensportverbandes.

Erst vor kurzem waren in Linz die Österreichischen Leichtathletik-Staatsmeisterschaften zu Gast. Ihre Eindrücke?

C. Etzlstorfer: Es freute mich, dass so ein großes Teilnehmerfeld an den Staatsmeisterschaften teilgenommen hat. Das Linzer-Stadion mit seiner langen Tradition in der Leichtathletik war wahrlich ein hervorragender Rahmen. Ich selbst habe ja früher bei den bekannten Gugl-Meetings im 800m Rollstuhlrennen teilgenommen.

Und ihre Eindrücke vom Nachwuchs?

C. Etzlstorfer: Es waren wieder viele junge und auch ambitionierte Athletinnen und Athleten aus ganz Österreich am Start. Im Bereich der Rollstuhl-Leichtathletik, wo ich meine größten aktiven und passiven Erfahrungen gesammelt habe, war ja in den letzten 10 Jahre im Nachwuchs eher eine Flaute zu beobachten. Nun bilden sich wieder engagierte und talentierte Gruppen.

Als Funktionär sind sie u.a. sehr stark beim RSC heindl OÖ tätig. Sind sie mit der Entwicklung zufrieden?

C. Etzlstorfer: Ja, wir haben derzeit rund 130 Mitglieder. Im Verein werden nun schon verschiedene Sportarten, u.a. Basketball, Bogensport, E-Rolli-Fussball, Handbike, Kanu, Rollstuhltanzen, Rugby, Ski/Alpin, Tischtennis und auch Triathlon angeboten. Besonders Rollstuhl-Tanzen und E-Rolli-Fußball haben in letzter Zeit einen regen Zulauf. Einerseits stehen bei der Durchführung der Sportarten der Wettkampf, anderseits wie beim Tanzen die Musik und die Geselligkeit im Mittelpunkt. Für den Einstieg in den Sport ist es immer hilfreich, eine Gruppe zu finden, damit es nicht nur ums Training, sondern auch um den Erfahrungsaustausch - sowohl den Sport als auch das Leben mit der Behinderung betreffend - geht.

Derzeit finden in Rio die XV. Paralympics statt. Ihre Eindrücke?

C. Etzlstorfer: Ich schaue mir nicht nur die österreichischen Athleten und Athletinnen an, sondern versuche in den Lifestreams auch bei den anderen Bewerben Eindrücke zu sammeln. Z.B. das Rennrollstuhlrennen über 5000m war sehr spannend, wo bis zur letzten Runde noch 10 Athleten vorne mitkämpften. Auch Rollstuhl-Rugby ist immer wieder interessant zu beobachten. Bei solchen Großveranstaltungen wie Paralympics ist man nicht nur als Athlet, sondern auch als Betreuer gefordert. Ich denke, dass unser Paralympics-Team großes Potential hat, ist doch die Qualifikation selbst schon eine großartige Leistung.

Was beobachten Sie noch im paralympischen Sport?

C. Etzlstorfer: Im Grunde muss man sagen, dass die Möglichkeiten der Sportausübung für schwerer-behinderte Menschen schwieriger wird. Dies sieht man auch bei den Paralympics. Nicht nur wurden im Rollstuhlsport immer mehr Bewerbe für Tetras - hohe Lähmung mit starken Einschränkungen - gestrichen, sondern innerhalb der verbliebenen Klassen gab es eine starke Verschiebung. Querschnittslähmung bei Tetras bedeutet neben dem Verlust der motorischen Funktionen auch noch Einschränkungen des vegetativen Nervensystems, das unter anderem das Schwitzen bei Hitze oder den Puls bei Belastung regelt. Viele Tetras kommen auch bei maximaler Belastung mit dem Puls kaum über 120. Bei anderen Behinderungen mit ähnlichen motorischen Einschränkungen - also keine Fingerfunktion - tritt dies nicht auf. In der Klassifikation wurde das bisher nicht berücksichtigt. Allerdings gibt es mittlerweile wissenschaftliche Studien, die genau diese Effekte im Sport untersuchen.

Sie haben ja nicht nur als Athlet bei den Paralympics teilgenommen und auch Gold gewonnen, sondern arbeiten u.a. auch sehr stark mit Radsportlern. Können Sie uns in ein paar Worten Ansätze ihrer Tätigkeiten mitteilen

C. Etzlstorfer: Besonders mit Walter Ablinger hat es in den letzten Jahren viele interessante Projekte und wissenschaftliche Tätigkeiten gegeben. Darunter fallen Test im Windkanal, die laufende Optimierung des Material - das Rad ist aus Karbon gebaut - der Kleidung, der Sitzposition, wie auch Technikanalysen. Ebenso ist es wichtig leistungsphysiologisch Schritte nach vorne zu machen. Themen wie Herzfrequenz, Muskelanspannung sowie verschiedene Nebeneffekte im Herz-Kreislaufsystem sind im Bereich des Behindertensports von größter Bedeutung.

Wie wichtig ist heute im Behindertensport die sportwissenschaftliche und sportmedizinische Betreuung und Beratung?

C. Etzlstorfer: Im heutigen Sport, insbesondere im Spitzen- und Hochleistungssport, muss auch die sportwissenschaftliche Betreuung gewährleistet werden. In Oberösterreich hat der Behindertensport daher eine gute Anbindung an das Olympiazentrum Sportland Oberösterreich, wo den OÖ-Sportlern ein sehr gutes Service geboten wird. Auch in den Fördermodellen Team-Rot-Weiss-Rot sowie Rio 2016 hat der sportwissenschaftliche Ansatz einen bedeutenden Stellenwert.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

C. Etzlstorfer: Als Trainer wünsche ich mir einen vermehrten nationalen und internationalen Erfahrungsaustausch in der komplexen Materie des Behindertensports. Individuell passiert dies ohnehin, so wie ich auch schon vor 25 Jahren zum Training mit Sportlern der Schweiz im Süden oder mit Kanadiern in Florida oder Kanada trainiert habe. Als Trainer suche ich ähnliche Kontakte. In Österreich müsste im allgemeinen Sport und im Behindertensport ein kontinuierlicher Wissenstransfer einen höheren Stellenwert haben.

Was meinen Sie damit?

C. Etzlstorfer: In den letzten 20 Jahren habe ich neben der Trainerausbildung auch viele Fortbildungen genossen, bei ganz wenigen davon ging es um Behindertensport. In der Regel erwerbe ich dort Wissen aus dem allgemeinen Sport, das ich im Rollstuhlsport anwende. Wenn wir z.B. Ausbildungen im allgemeinen und auch im Behindertensport gemeinsam machen würden, würden wahrscheinlich beide Bereiche intensiver davon profitieren. Nicht zu vergessen der Blick über die Grenzen. Wir können immer von anderen Nationen lernen und profitieren, müssen aber selbst unser Knowhow an den interessierten Mann und Frau bekommen. Somit können wir vielleicht in Zukunft - wie ich vor kurzen in der Schweiz erlebt habe - sogar U16- wie auch U23-Meisterschaften in der Leichtathletik durchführen.

Schlussendlich muss es im Behindertensport auch ein Steuerungselement geben, damit es nicht immer nur zu Einzelinitiativen kommt. Das betrifft aber den Sport in Österreich ganz allgemein. In vielen Fällen werden Sportler nicht wegen der guten, sondern trotz der fehlenden Strukturen gut. Sportler und Trainer sind zu oft Einzelkämpfer. Im Rollstuhlsport gibt es hier tolle Modelle in der Schweiz mit dem Paraplegikerzentrum Nottwil oder in den USA an der Universität von Illinois, wo Rollstuhlsportler über den Sport zu Stipendien kommen und dann professionell trainieren und gleichzeitig studieren können.

Bildquelle: Manfred Werner