“Behindertensport erweitert unseren Horizont“

Sagt Doris Fritz über ihre Arbeit – und die Gesellschaft. Die Sonderpädagogin weiß über die Wichtigkeit des Behindertensports Bescheid und hält ihn für ein wichtiges Mittel der Inklusion.

Doris Fritz mit ihren Rollstuhl-Kids Noah (li.) und Felix.

Aber wie weit sind wir damit in Österreich tatsächlich und wo muss sich etwas verbessern? Eine Botschaft an alle, die sich im Behindertensport versuchen möchten.

Interview von Sandro Nicolussi

ÖBSV: Welche Tätigkeiten in der Behindertenbetreuung übst du aus?
Doris Fritz:
Hauptsächlich als Mobilitätstrainerin und in der Rollstuhlanpassung. Ich bin dafür zuständig, dass die Kinder mit Geräten ausgestattet sind, die zu ihren Bedürfnissen passen. Und ich begleite viele Menschen von klein auf. Mit Kindern übe ich spielerisch das Erlernen von Rollstuhlfahren.

Wie kann man sich das vorstellen?
Wir trainieren Techniken wie Kippen, Kanten, Kurven, Bergauf- und Bergabfahren und das Überwinden von Hindernisse. Diese Techniken werden oft unterschätzt. Aber man setzt ja auch kein Kind ohne Einschränkung auf ein Fahrrad und lässt es einfach machen.

Wie gehen diese Prozesse weiter?
Kinder sollen die Wichtigkeit von Sport verstehen und sich danach in einer oder mehreren Sportarten wiederfinden. Ob Breitensport oder Leistungssport, ist ihnen selbst überlassen. Es gibt keine Behinderung, die so schwerwiegend ist, dass man keinen Sport ausüben kann. Fast vollständig bewegungseingeschränkte Menschen können E-Rolli-Fußball oder Boccia spielen.

Was ist das schönste an der Arbeit mit Menschen mit Behinderung?
Menschen mit Behinderung so anzunehmen, wie sie sind. Das wirkt bestärkend. Die direkte und spontane Authentizität ist die Grundlage meiner Arbeit.

Und in sportlicher Hinsicht?
Das Feedback von den Menschen, die nach Erfüllung suchen und sie in einer Sportart finden. Die grinsenden Gesichter und dankbaren Gesten, die ich von den Leuten erhalte.

Kannst du eine Botschaft nennen, die du den von dir betreuten Kindern immer mitgeben möchtest?
Menschen mit Behinderung sehen sich nicht als besonders. Sie werden von ihrer Umwelt besonders gemacht, indem sie anders behandelt werden. Meinen Kindern gebe ich mit, dass sie sich den Platz nehmen sollen, den sie brauchen. Sie müssen ein Selbstwertgefühl entwickeln, Leute nach Hilfe fragen, wenn sie diese brauchen.

Wie lässt sich diese Andersbehandlung aufbrechen?
Durch Information und Aufklärung. Eltern von Kindern mit Behinderung sind oft überrascht, was für ihr Kind alles möglich ist. Immer wieder ziehe ich auch Vergleiche, etwa: Straßenbahnschienen für Rollifahrer sind ähnlich gefährlich wie für Radfahrer. Das hilft auch Laien sich in die Lage eines Rollstuhlfahrers zu versetzen.

Wie empfindest du die Stellung von Menschen mit Behinderung in der Ö-Gesellschaft?
Die Gesellschaft hat sich geöffnet. Aber: wenn wir von Barrierefreiheit sprechen, sprechen wir noch lange nicht in einem Ausmaß davon, wie es sein sollte. Oft beschränken sich Diskussionen für Rollstuhlfahrer und dabei werden nicht einmal die unterschiedlichen Rollstuhlmodelle berücksichtigt. Barrierefreiheit reduziert sich nicht nur auf körperlich-motorische Einschränkungen, es betrifft auch Menschen mit Sehbehinderung oder Hörbeeinträchtigung – und mehr.

Kann sich das durch Behindertensport verbessern?
Ja. Gar nicht nur durch die Medien, sondern auch, wenn sich rollstuhlfahrende Kinder sicher und selbstbewusst auf der Straße bewegen. Das ist schon ein Zeichen von “ich bin präsent”.

Wie erlebst du dabei die Rolle des ÖBSV?
Der ÖBSV leistet einen guten Beitrag als Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung. Auch Angehörige und Außenstehende können sich dort informieren. Besonders toll finde ich die “Behindertensport bewegt!”-Tour, die in ganz Österreich Menschen mit Sportarten für Menschen mit Behinderung in Berührung brachte. Vernetzung ist das Stichwort.

Sollten sich also auch zu Fuß gehende Menschen mal im Behindertensport versuchen?
Auf jeden Fall! Ganz grundlegend ist das für Eltern von Kindern mit Behinderung, aber auch allen anderen Menschen empfehle ich das, um den Horizont zu erweitern. Das Gefühl, plötzlich ganz andere Dinge auf Augenhöhe zu haben und die gesamte Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen, kann schon überwältigend sein. Wenn wir uns dafür öffnen und einen Schritt aufeinander zugehen, können beide Seiten davon profitieren.