Leichtathletik: Am Weg zur Weltspitze

"Mit „Dabei sein ist alles“ kann ich nichts anfangen", sagt Georg Schober. Die neue Hoffnung in der österreichischen Para-Leichtathletik will spätestens bei den Paralympischen Spielen 2028 eine Goldmedaille.

Egal ob Speer oder Kugel - Georg Schober gibt sich mit Durchschnitt nicht zufrieden. Alle Fotos (c) Sophie Kirchner

Wille und Ehrgeiz

Steht Georg Schober vor einem, macht er Eindruck. Breites Kreuz, austrainiert, Tattoo am Unterarm. Angst flößt er einem aber nicht ein, denn da ist gleichzeitig sein sympathisches Lächeln und eine sanfte Ausstrahlung. Seine Behinderung – eine Oberschenkelamputation – nimmt man nur wahr, wenn man ihn in kurzen Hosen sieht. Etwa beim Leichtathletik-Training im BSFZ Südstadt oder im Kraftraum. Die moderne Prothesentechnik und Georgs Wille nach der Amputation vor zwei Jahren, so schnell wie möglich wieder rund gehen und laufen zu können, sind der Grund dafür. Wille, Ehrgeiz,

Motivation. Schober scheint davon überzugehen. Wo andere nach einer Amputation noch bei den Basics wie dem Wiedererlernen des Gehens sind, war sein Fokus schon beim Leistungssport. „Ich habe schon während der Reha meinen ersten Wettkampf im Speerwurf bestritten“, so Schober, der seit damals einen österreichischen Rekord nach dem anderen bricht.

Unbändige Kraft und eiserner Wille

In den Genen

Sportliches Talent und Ehrgeiz liegen Schober in den Genen. Der Vater war einer der besten Kraftdreikämpfer Österreichs und Strongest Man in Europa, der Großvater ein äußerst erfolgreicher Ringer. Der Großvater macht seinen Enkel in der Kindheit auch zu einem Ringer. Einem sehr guten, Schober junior wird Dritter bei den Staatsmeisterschaften. Man ist kurz davor, das Kind zu den Europameisterschaften zu schicken. „Zielstrebig war ich wohl schon als Kind. Ich verbessere mich einfach gerne, mir macht es Spaß, mich bei Wettkämpfen mit anderen zu messen“, so Schober.

Dann die Diagnose Krebs. Das linke Bein ist befallen, ein Tumor. Schober: „Ich hatte gar nichts bemerkt, keine Symptome. Erst als ich beim Skifahren über eine Schanze sprang, der Unterschenkel mehrfach gebrochen und das Bein zerfetzt war, wurde der Krebs bei der Versorgung im Spital entdeckt.“ Es folgen Operationen, insgesamt vier an der Zahl, danach Behandlungen und Rehabilitation. Der Krebs ist vorerst weg, das Bein gerettet, aber Schober kann nicht mehr so wie früher laufen, und ans Ringen ist nicht mehr zu denken. „Das war damals das Härteste in meinem zuvor noch unbeschwerten Leben. Die lange Vorbereitung, das viele Training und die wirklich guten Aussichten bei der Europameisterschaft im Ringen für mich – und dann der Krebs und das Ende davon“, so Schober.

Amputation als gute Sache

Was also tun mit dem Ehrgeiz und der Kraft, die man als Heranwachsender im Übermaß hat? Schober beginnt mit Kraftsport, trainiert Bankdrücken und unterrichtet Frauen und Kinder in Selbstverteidigung. Im Bankdrücken, einer sportlichen Nische, wie er sagt, wird Schober im Jahr 2014 Wiener Meister. Schober: „Das ging, weil ich dabei keine Kniebeugen machen musste.“

Das vom Krebs befallene und operierte Bein bereitet Schober mal mehr, mal weniger Beschwerden. Lange ist Wettkampfsport für ihn nicht möglich. Keine leichte Zeit für jemanden, der genau das liebt. 2020 ist sagt ihm sein behandelnder Arzt, dass das Bein amputiert werden muss, der Krebs ist zurück. Abnahme oberhalb des Kniegelenks. Amputation ist in Österreich eine rein medizinische Entscheidung. Schober: „Für mich war die Amputation eine gute Sache. Das mögen vielleicht viele nicht verstehen. Ich wusste aber, ich habe danach die Möglichkeit, im Parasport durchzustarten.“

Kraft und Technik

Nach der Operation will Schober keine Zeit verschwenden. Welchem Sport er sich widmen will, das weiß er noch nicht. Paralympisch soll er sein, mit einer Chance auf eine Medaille für ihn. Schober hat eine große Armspannweite – ideale Voraussetzungen für den Speerwurf. Nur einen Monat nach der Amputation nimmt er bei den Wiener Landesmeisterschaften im Behindertensport teil. Und gewinnt. Speerwurf ist sehr komplex. Kraft hat Schober. Und wie man Kraft trainiert, weiß er auch. Doch woher die Technik nehmen? Markus Traxler vom Landesverband Behindertensport Niederösterreich vermittelt ihn in eine Trainingsgruppe.

Fortan trainiert er fünfmal die Woche mit Speer Nationaltrainerin Elisabeth Eberl, Leichtathletik-Trainer Gerhard Mayer und Paralympics- Sieger Bil Marinkovic. Es folgen die ersten internationalen Auftritte und damit auch die ersten Weltcup-Punkte für eine mögliche Qualifikation für die WM 2023 in Paris. Die hätte Schober in der Tasche.

Neue Wege

Mittlerweile haben sich die sportlichen Prioritäten verschoben. Denn im Training stellt sich heraus: Schober hat auch für das Kugelstoßen Talent. Seit Sommer 2022 arbeitet man intensiv daran. „Aufgrund meiner Armspannweite ist Speerwurf ideal für mich. Was mein Trainingsteam aber anfangs unterschätzt hat, war meine Kraft. Und Kraft brauchst du für die Kugel“, so Schober. 

Anfang Mai 2023 wird Schober in Jesolo umklassifiziert und setzt den Fokus voll aufs Kugelstoßen. Weg von der Sitzposition. Er fährt zu Leichtathletik-Meetings, ist Teil der Community, misst sich mit Gleichgesinnten ohne Behinderung.

Mittlerweile hat Schober den Speer gegen die Kugel getauscht.

Zweiter als erster Verlierer

Schober: „‚Dabei sein ist alles‘, das ist nichts für mich. Ich will unbedingt eine Medaille gewinnen.“ Spätestens bei den Paralympics 2028 will er „alles niederreißen“, wie er selbst sagt. Das sei seine Mentalität, er ist nicht gern Zweiter. Er will gewinnen, ganz oben am Siegerpodest stehen. Sein sportliches Trainings-Umfeld sieht großes Potenzial in seinem Schützling. Aber Trainer Mayer und Co, und damit auch Schober, wissen: Der Weg zu einem Weltklasse-Kugelstoßer ist lang und steinig. Niederreißen hilft beim Technik-Training nicht.

Einheit für Einheit muss diese perfektioniert werden, denn schon der kleinste Fehler beim Wurf kostet Meter – egal, wie viel Power dahintersteckt. Und wenn der Traum einer Goldenen bei den Paralympics nicht in Erfüllung geht? „Solange ich das Beste aus mir raushole, wenn ich wirklich alles gebe, dann wird der Traum wahr, davon bin ich fest überzeugt“, so Schober. Scheitern ist somit vorerst keine Option.

 


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