"Wettkampfgedanke im Mittelpunkt des brasilianischen Sports"

Der Sport hat in Brasilien einen hohen Stellenwert. Auch der Behindertensport kann seit 2004 auf eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Matias Costa, lange Zeit Teil der Paralympischen Familie in Brasilien, nun Mitarbeiter beim ÖBSV, spricht über seine nationalen und internationalen Erfahrungen und Tätigkeiten. Im Mittelpunkt des brasilianischen Sportlerherzens steht der Wettkampfgedanke - Breitensport ist kein Thema, man trifft sich um zu spielen und zu gewinnen - auch im Behindertensport.

Paralympics in Rio, was bedeutet dies für einen "Brasilianer" in Österreich?

Matias Costa: Nachdem ich in Österreich geboren bin, aber lange Zeit in Brasilien, von 1984-1990 und von 2003-2011, gelebt habe, ein Wirrwarr an Gefühlen. Einerseits gibst Party bei mir zu Hause, anderseits sind alle meine Freunde in Brasilien in die Paralympics miteinbezogen.

Du hast ja selbst intenisv bei der "Entstehung" der Paralympics in Brasilien mitgewirkt!

Matias Costa: Ja, ich habe selbst bei der Entwicklung des Projekts "Paralympics in Rio" mitgearbeitet, u.a. habe ich bei der Erstellung des Bid-Dokuments durch das Organisationskomitee CO-Rio2016 Teile dazu geliefert. Auch meine Frau ist derzeit als Stv.-Delegationsleiterin der Ukraine anwesend, ich selbst fiebere in Wien mit.

Welchen Stellenwert hat der Behindertensport in Brasilien?

Matias Costa: Der Behindertensport erlebt in Brasilien besonders seit den Olympischen Spielen 2004 in Athen einen großen Aufschwung. Im Zuge der Olympischen Spiele 2004 hat das Paralympische Komittee Brasiliens ein großes Aufgebot an Journalisten in den Flieger gesetzt und nach Athen gebracht, um Ihnen die Paralympischen Spiele näher zu bringen. seitdem ist die Berichterstattung über den Paralympischen Sport nicht nur stetig gewachsen sondern auch qualitativ auf hohen Niveau. Nachdem auch immer mehr Medaillen bei den Paralympics gewonnen wurden kennt man in Brasilien auch die Top 10-15 Athletinnen und Athleten des Behindertensports. Die kennt man in der brasilianischen Gesellschaft, die machen Werbung mit verschiedenen Produkten, sind wirkliche Aushängeschilder in Brasilien. Auch wenn es vorab Schwierigkeiten gegeben hat - politische schwierige Situation, finanzielle Engpässe, Wartungsarbeiten sind nach den Olympischen Spielen gestanden - werden wir bei den Paralympics gute Wettkämpfe und auch ein gutes Zuschauerinteresse erleben.

Zurück nach Österreich. Was ist dein Aufgabengebiet beim ÖBSV?

Matias Costa: Ein wichtiges Gebiet ist das Projektmanagement im Bereich der Spitzensportförderung, wo ich für die Projekte bei Team-Rot-Weiss-Rot sowie Rio 2016 verantwortlich zeichne. Dies reicht von der Antragseinreichung bishin zur Abrechnung. Anderseits kümmere ich mich auch um Sportarten, die im Zuge des Inklusionsprozesses beim ÖBSV geblieben sind, hauptsächlich Leichtathletik und Schwimmen. In weiterer Folge auch um Sportarten/Disziplinen wie Rollstuhltennis, Gehörlosensport sowie anderen Teilprojekten u.a. bei den Sportschützen. Als Referent für den Behindertenradsport bin auch im Österreichischen Radsportverband tätig. Wenn Sportler in einen Kader kommen, werden sie von mir übernommen, d.h. die ganzen Abwicklungen wie Entsendungen, Anträge, Vorbereitungen für Großsportveranstaltungen wie Welt- und Europameisterschaften sowie Kadererstellung und Anti-Doping-Fragen stehen dabei im Mittelpunkt.

Dein großes brasilianisches Herz schlägt natürlich für Fußball, aber auch für weitere Mannschaftssportarten!

Matias Costa: Seitdem ich 2011 aus Brasilien zurückkehrte versuche ich in den verschiedenen Bereichen des Behindertenmannschaftssport, u.a. Fußball, gemeinsam mit verschiedenen Kollegen, tätig zu sein. Dazu gehören der CP-Fußball, Blindenfußball, ein gewisser Nachzügler, der erst heuer so richtig in Schwung kommt, der Sehbehindertenfußball Futsal, welcher schon länger existiert sowie E-Rolli-Fußball und Mentalbehindertenfußball. Mit den "Special Needs Teams" ist ein neues Projekt in Kooperation mit den Profifußballvereinen wie Rapid Wien, Austria Wien oder SKN St. Pölten und weiteren Mannschaften im Entstehen. Hier spielen Spieler aus verschiedenen Behinderungssparten zusammen. Eine große Sache, mit den Vereinen versuchen wir einen gesunden Spielbetrieb aufzubauen.

Kannst Du dir vorstellen, dass bei den nächsten Paralympics österreichische Mannschaften teilnehmen?

Matias Costa: Hier möchte ich kurz in meine brasilianische Vergangenheit zurückgehen. Wie gesagt, ich war von 4-10 sowie ab 22 in Brasilien und habe dazwischen in Österreich in meiner Jugend leistungsmäßig Basketball gespielt. Danach war ich sehr im Fußball involviert. Über das Rollstuhl-Basketball bin ich dann in den Behindertensport gekommen, habe Rollstuhl-Rugby in Brasilien eingeführt, wo ich dann der erste Präsident des Brasilianischen Rollstuhl-Rugbyverbandes war und auch heute noch im internationalen Verband tätig bin. Dazwischen habe ich auch sehr viel mit Goalball gearbeitet. In Summe kann man sagen, dass meine sportliche Heimat der Mannschaftssport ist, nun vor allem im Behindertensport.

Nun zur Frage. Im Rollstuhl-Basketball, wo wir eine eigene österreichische Meisterschaft durchführen, sind viele gute Mannschaften und auch ein sehr gutes Spielerpotential vorhanden. Nachdem der Sprung von der C- zur B-Europameisterschaft gelungen ist, denke ich, dass auch der Sprung in den europäischen A-Pool in den nächsten Jahren möglich sein wird. Der Sprung zu den Paralympics wäre dann ein weiterer großer Schritt, ist doch der finanzielle Aufwand, der international im Rollstuhl-Basketball aufgewendet wird, schon sehr hoch.

Im Rollstuhl-Rugby finden wir ein gutes Gerüst sowie Struktur vor, ebenso eine Meisterschaft, das Nationalteam hat sich gerade wieder aufgestellt, aber es findet gerade ein Generationswechsel statt. Wichtig wäre es, dass du einen 3.5-Spieler - auch genannt einen High-Pointer - hast, d.h. einen Spieler mit wenigen körperlichen Einschränkungen. Mit so einen Spieler ist der Sprung in die Top 10 der Welt möglich und dann wäre eine Teilnahme bei den Paralympics 2024, vielleicht sogar 2020 ein Thema (Anmerkung: Jeder Spieler bekommt durch speziell ausgebildete Klassifizierer eine Einstufung die zwischen 0.5 Punkten bis zu 3.5 reichen. Je grösser die Einschränkungen, desto weniger Punkte bekommt der Spieler).

In Torball haben wir eine lange Tradition, wo wir auch wirklich sehr gut sind. Jetzt passiert gerade seit einem Jahr die Umstellung von Tor- auf Goalball. Wenn der Übergang geschafft wird, dann haben wir eine Zukunft. Die erste Turnierteilnahme war sehr vielversprechend. Die Leute, die im Goalball arbeiten sind sehr engagiert und sehr kompetent. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in den nächsten 4 Jahren etwas sehr gutes entwickeln, obwohl man natürlich sagen muss, die Konkurrenz schläft nicht! In Summe muss man sagen, dass der Blindensport eine sehr schwierige Sparte ist, um international und bei den Paralympics teilzunehmen und aufzeigen zu können.

Was verbindet der Brasilianer im Sport mit Inklusion und Breitensport?

Matias Costa: Inklusion ist in Brasilien kein Thema. Einige Spitzensportler, die geringe Behinderungen haben, starten auch bei den allgemeinen Wettkämpfen, ähnlich wie in Österreich unser Athlet Günther Matzinger. Es gibt aber auch Top-Vereine in Rio, wie Vasco da Gamma, die auch Sparten mit Behindertensport führen, wie z.B. CP-Fußball, Schwimmen oder Sitz-Volleyball. D.h. es ist nicht ausgeschlossen, dass ein olympischer Verein auch paralympische Sportler betreut und unterstützt, auch von klein auf gemeinsam mit Schulen. Breitensport, den Begriff gibt es in Brasilien nicht wirklich. Es wird Sport ausgeübt, um Erfolg zu haben, der Wettkampfcharakter steht in Brasilien immer im Mittelpunkt.

Bildquelle: www.erollifussball.at