Anita Ruetz - Von der Couch zu den Paralympics

Anita Ruetz ist Sportlerin mit Leib und Seele. Die Tirolerin nahm an zwei Paralympics teil und kämpft auch heute noch bei zahlreichen Events um Medaillen. Wer sich nicht sicher ist, ob Sport das Richtige für einen ist, sollte sich folgende Geschichte unbedingt durchlesen.

Anita Ruetz auf dem Rad und den Skiern. Fotos (c) Privat

Wer Anita Ruetz kennt oder ihr Social Media folgt, merkt sofort, die Tirolerin hat sich mit Leib und Seele dem Sport verschrieben. Die 46-Jährige ist gleichermaßen im Wasser wie in den verschneiten Bergen zu Hause. Ein sportlicher Werdegang, der sie vom Sofa bis zu den Paralympics führte.

Vom Sofa aufs Rad

Die Tirolerin lebt seit sie denken kann mit einer diagnostizierten spastischen Halbseitenlähmung, verursacht durch eine Gehirnblutung, als sie noch ein Baby war. Von der Sportskanone, wie wir sie heute kennen, war sie in ihrer Jugend laut eigener Erzählung weit entfernt: „Bis 2002 war ich ein kompletter ‚Couch Potato‘ frei nach dem Motto ,Sport ist Mord’“.

Ärztliche Ratschläge interessierten sie im Teenager-Alter wenig: „Immer wieder wurde mir von meiner Physiotherapeutin ans Herz gelegt, sportlich aktiv zu sein. Damit sich dadurch meine Muskeln nicht verkürzen. Der Muskelaufbau auf der rechten Seite würde zu weniger Disbalancen führen, die sich ansonsten in späteren Jahren negativ auf meine Wirbelsäule und Gelenke auswirken.“

Der Anbruch des neuen Jahrtausends veränderte das Leben der Tirolerin komplett: „Ende 2000 lernte ich meinen Mann Thomas kennen. Er war schon immer sehr sportlich. Und es kam dann halt mal der Tag X, an dem wir eine gemeinsame Radtour geplant haben.“

Die Tour gestaltete sich von der Suche nach einem passenden Sportgerät bis zu den ersten Tritten in die Pedale abenteuerlich: „Ich musste erst einmal mein verstaubtes City-Bike aus dem Keller ausgraben. Die anschließende 5 km Flughafen-Runde war für mich die Hölle. Ich war komplett außer Puste und hatte einen gefühlten Pulsschlag von 200.“

Anita Ruetz liebt das Wasser. Foto (c) Privat

Vom Wasser in die Pedale

Zu ihrem Glück blieb ihr Mann hartnäckig: „Thomas hat nicht locker gelassen und wir fuhren immer wieder gemeinsam Rad, bis ich merkte, hoppala da passiert ja was Positives mit meinem Körper.“ Der Ehrgeiz in ihr war geweckt: „Da ich von Haus aus eine sehr zielstrebige Person bin, hab ich mich mal schlaugemacht, ob und wo es überhaupt die Möglichkeit gibt, Sport mit einer Behinderung zu machen.“

Den richtigen Ansprechpartner fand Ruetz im Tiroler Behindertensportverband: „Ich habe mit Schwimmen begonnen und war auch auf nationaler Ebene erfolgreich. Für Bewerbe auf internationaler Bühne reichte mein Schwimm-Können aber nicht.“

Für die ambitionierte Sportlerin kein Problem. Sie verließ das Wasser und trat fortan in die Pedale: „2002 wechselte ich aufs Rad. 12 Jahre gehörte ich zum Nationalteam. Damals war ich in Österreich die einzige Frau im Behindertenradsport.“, blickt Ruetz mit Freude zurück. „Das war auch eine sehr schöne und erfolgreiche Zeit - wir waren ein nettes, kompaktes Team aus Athletinnen und Athleten und Betreuern wie Paul Lanegger, zu dem ich heute noch einen engen Kontakt habe.“

Anita Ruetz vor den Paralympics in London. Foto (c) GEPA

Von Tirol in die weite Welt

Ruetz erfolgreiche Sport-Karriere führte sie weit über die Grenzen Österreichs hinaus. 2008 und 2012 nahm sie an den Paralympics in Peking und London teil. Es ist DER große Traum vieler ambitionierter Sportlerinnen und Sportler. Ein Traum, der viele Opfer abverlangt: „Für die Teilnahme bei den Paralympics musste ich sehr viele Strapazen auf mich nehmen. Ich musste das Training und einen 40-Stunden-Job gleichzeitig unter einen Hut bringen.“ Ein Aufwand, der sich schlussendlich gelohnt hat: „Es hat sich definitiv bezahlt gemacht. Das kann mir keiner mehr nehmen. Und nicht jede/r Athletin und Athlet ist privilegiert, zu solch einem Großevent zu fahren - das macht mich schon stolz.“

Ruetz auf dem Rad bei den Paralympics. Foto (c) GEPA

Von den Paralympics zurück zu den Wurzeln

Anita Ruetz bleibt auch nach den Paralympics einem aktiven Lebensstil treu. Und das auf alle erdenklichen Weisen. Auf die Frage, ob es überhaupt eine Sportart gibt, die die Tirolerin noch nicht ausprobiert hat, muss sie selber lange nachdenken, um dann lachend festzustellen: „Ich habe fast jede Sportart auf irgendeine Weise probiert, außer Ski-Springen.“

Und sie hält fest: „Der Sport hat in meinem Leben einen sehr großen Stellenwert - durch den Sport bekam ich mehr Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und auch mehr Lebensqualität. Durch das regelmäßige Training verbesserten sich mein Muskeltonus, meine Verspannungen und auch mein Gangbild.“

Mittlerweile ist Ruetz zurück zu ihren Wurzeln gekehrt und zieht im Wasser ihre Bahnen. Ein Element, dem sie besondere Kräfte zuschreibt: „Das Wasser behandelt jeden gleich. Ich spüre im Wasser meine Behinderung überhaupt nicht, denn der Bewegungsumfang ist wesentlich größer als am Land. Und ich bin in der Zeit, die ich im Wasser verbringe, schmerzfrei und entspannt. Das Wasser umhüllt einen richtig - es ist ein enorm angenehmes Gefühl.“

TBSV-Präsident Gerald Daringer und Anita Ruetz bei einer Schwimm-Veranstaltung. Foto (c) Privat

Heimat TBSV

Dass sie den Weg zurück ins Wasser fand, hat sie vor allem einer Person zu verdanken, TBSV Präsidenten Gerald Daringer: „Vor 2 Jahren lernte ich zum ersten Mal Gerald kennen. Er war mir damals völlig unbekannt. Wir redeten über meine sportlichen Ambitionen. Er ist leidenschaftlicher Schwimmer und durch unsere Gespräche fand ich den Reiz, zurück ins Wasser zu kehren. Soweit, dass ich Schwimmen wieder als Wettkampfsport betreiben wollte. Und das Element Wasser eigentlich meine ‚große Liebe‘ ist.“

Heuer stehen für die Tirolerin mit den Österreichischen Staatsmeisterschaften, den ÖBSV-Cups, den Open Water Wörthersee Open und der Attersee Querung vier spannende Schwimm-Veranstaltungen auf dem Programm.

Neben dem Sport hat Ruetz eine wichtige Aufgabe beim TBSV übernommen. Sie leitet als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit die Geschicke über die sehr aktiven Social Media-Kanäle des Landesverbandes: „Gerald und ich sind auf Facebook und Instagram befreundet. Ich teile auf meinen privaten Account meine Leidenschaft zum Sport. Ich identifiziere mich zu 100 Prozent als ‚Behindertensportlerin mit Herz‘. Und ich will auch weitergeben, wie sehr mir der Sport in meinen Leben hilft.“

Für den Präsidenten des TBSV ein aufgelegter Elfmeter: „Letzten Herbst hat mich der Gerald gefragt, ob ich mir vorstellen könnte die Social Media-Seiten des TBSV zu betreuen und über die Aktivitäten des Verbandes, der einzelnen Vereine und Sportlerinnen und Sportler zu berichten.“

Und Ruetz steckt viel Herzblut in ihre Aufgabe: „Ich mache die Öffentlichkeitsarbeit sehr gerne, da es mir ein großes Anliegen ist, so viele wie möglich Leute zu erreichen. Damit sie erfahren, was im Behindertensport so alles los ist. Und dass unser Motto ‚Mehr SPORT als man glaubt...und mehr als nur SPORT’ wirklich gelebt wird.“

Marco Unterlechner und Anita Ruetz zeigen ihre Medaillen. Foto (c) Privat

Im Einsatz für die gute Sache

Spricht man Ruetz auf den größten Sieg ihrer Karriere an, bekommt man keine Geschichte über Goldmedaillen oder die Paralympics zu hören: Meinen größten Erfolg habe ich eigentlich letztes Jahr gefeiert. Es war ein Herzens-Projekt, das sich zu einem Charity-Projekt entwickelte. Ich bin vergangenes Jahr den Ötztaler Radmarathon als erste Frau mit einer spastischen Halbseitenlähmung gefahren. Und konnte aufgrund sehr vieler Unterstützer der Familie von Marco Unterlechner einen Geldbetrag sammeln, um einen neuen Therapiestuhl anzuschaffen.“

Auch abseits des Sportes engagiert sich die 46-Jährige für die Anliegen von Menschen mit Behinderung. So auch in der Arbeitswelt: „Ich setzte mich dafür ein, dass behinderten Menschen am Arbeitsmarkt eine faire Chance gegeben wird. Leider sind wir noch meilenweit davon entfernt. Das ist halt unsere Profit-Gesellschaft“, erklärt Ruetz ihren Frust „jeder von uns bringt seine ganz speziellen Fähigkeiten und Talente mit. Und würde man diese Fähigkeiten genau dort einsetzen, wo sie nicht zu 100 Prozent vorhanden sind, könnte jedes Unternehmen nur davon profitieren.“

Einen Anfang sieht Ruetz schon in der richtigen Wahl der Worte: „Wenn ich ‚Menschen mit besonderen Bedürfnissen‘ lese oder höre, da stellt es mir regelrecht die Nackenhaare auf. Jeder von uns, ob behindert oder nicht hat ‚besondere Bedürfnisse’.“

Einfach machen

Auf die Frage, ob die Vollblut-Athletin zum Abschluss einen guten Ratschlag für Menschen mit einer Behinderung, die noch keinen Sport machen, parat hat, wird sie schnell konkret: „Wer es nicht probiert, wird nie wissen, wie es sich anfühlt. Don’t think, just do it!“ Nicht denken. Tun.