Mut braucht der Mensch immer!

Emilie Schwarz, für viele die Milli aus Hellmonsödt, holte in den 1970ern bei den Paralympics in Heidelberg und Toronto Silber- und Bronzemedaillen in verschiedensten Wurfdisziplinen. Ein Triumph, den sich die Oberösterreicherin nach einer Infektion mit dem Poliovirus niemals erträumt hätte.

Emilie Schwarz zu Hause. Alle Fotos (c) Sophie Kirchner

Den Behindertensport hat Schwarz als Obfrau des OÖBSV und Vizepräsidentin im ÖBSV ebenfalls maßgeblich verändert. Die heute 86-Jährige beeindruckt immer noch mit ihrem Optimismus, ihrer Wertschätzung für große und kleine Dinge und ihrem Mut in allen Lebenslagen.

Frau Schwarz, wie beschreiben Sie sich selbst?
Ich bin sehr optimistisch. Das war ich vor allem beim Sport und in meinen beruflichen Funktionen. Das bringt sicher bessere Leistungen. Heute kann ich über mein Leben sagen: Wenn die innere Einstellung passt, bleibt man fit. Ich habe keine Sorgen. Das hält irgendwie jung.

An welche sportlichen Erfolge denken Sie gerne?
Als ich bei den Querschnittgelähmten-Meisterschaften sofort drei Bewerbe für mich entscheiden konnte, war das für mich schöner als Toronto. Das wird immer in mir bleiben. Als behinderter Mensch durchzuhalten und das zu schaffen, was erwartet wird, war ein Umrühren in den Gefühlen. Der Verband hat die Erfolge ja auch gebraucht.

Nachdem Speer, Diskus und Kugel lange Ihr Leben beherrscht haben, verfügen Sie über mehr Kraft als andere Damen in Ihrem Alter?
Auf jeden Fall! Durchtrainierter bin ich schon. Aber der Sport hat mich auch flexibel gemacht. Nach meiner sportlichen Laufbahn war ich im Gemeinderat, im Vorstand im Behindertensport. Ich hab mich für alles interessiert. Mit den Politikern haben wir damals sehr viel zu unseren Gunsten verändern können. Man muss sich selbst integrieren, um integriert zu sein. Weil Behinderte und Nichtbehinderte gehören ja zusammen.

Wofür haben Sie damals im Behindertensportverband gekämpft?
Für den Zusammenschluss mit allen anderen Sportorganisationen und generell um unsere Anerkennung. 

Sie waren neun Jahre alt, als Sie an Kinderlähmung erkrankten. Wie sind Sie mit dieser Situation zurechtgekommen?
Es hat mit hohem Fieber begonnen. In der Familie waren alle perplex. Dazu kamen starke Kopfschmerzen, so arg, dass man sich fast nicht mehr auskennt. Meine Eltern haben dann Ärzte gerufen, und ich bin noch zu Fuß ins Rettungsauto gewankt. Am nächsten Tag hab ich dann im Kinderkrankenhaus in Linz nicht mehr aufstehen können. Da hab ich dann zur Mama gesagt: “Mutter, ich kann nicht mehr gehen!” Von da an hab ich gewusst: Hoppala, jetzt hat’s was. Jetzt wird’s schlimm! Mit einem künstlichen Fieberschub hat man noch versucht, die Krankheit abzufangen, aber das ist nicht gelungen. Ich hab dann mein Leben gehunfähig geführt, aber der Sport hat mir geholfen, eine gute Muskulatur zu bilden.

Ihr Beruf hat ebenfalls viel Kraft verlangt.
Ja, ich habe über 20 Jahre als Schneidermeisterin gearbeitet. Das war auch etwas Wertvolles. Ich habe 100 Brautkleider und  50 Ballkleider genäht. Als Funktionärin kannte man mich dann auch mal resolut. Ich konnte vieles durchziehen, weil ich keine eigene Familie gehabt habe. Rückblickend weiß ich: Mir geht es sehr gut! Ich möchte mit niemandem tauschen. Ich habe Freunde, Familie und auch im Altersheim bin ich ein gern gesehener Gast. Weil ich Menschen gut beruhigen kann. 

Das brauchen viele im Moment.
In der jetzigen Zeit sind viele ältere Menschen sehr sorgenvoll, manche sogar fast eingebrochen. Ich sag dann immer: Es hat keinen Sinn aufzugeben. Ich hab in meinem Leben viel von der Sonnenseite erwischt. 

Wie gelangt man auf die Sonnenseite?
Ich habe gelernt, eine Zufriedenheit von innen heraus in mir zu tragen. Der Mensch muss ja alles erst lernen. 

Fühlen Sie sich trotzdem manchmal einsam?
Ich bin in der Familie meiner Schwester Taufpatin von sechs Kindern. Was die alles mit mir unternehmen und mich erleben lassen! Das ist wunderbar. Ich helfe aber auch gerne anderen Menschen. Mit Zuhören. 

Sie, Ihr Rollstuhl und Ihr allzeit offenes Ohr gehören zum Ortsbild der 2.500-Einwohner-Gemeinde im Mühlviertel. Was raten Sie Menschen, die aktuell den Mut verlieren?
Mut braucht der Mensch immer, ob er behindert ist oder nicht. Gespräche sind das Wichtigste. Ob das an einem Stammtisch ist oder sonst wo. Hauptsache, man schmeißt nicht alles hin! Von einem behinderten Menschen kann man das lernen. Da gibt es viele Mutmacher.

Was wünschen Sie sich?
Dass mich das Vergesslichkeitsteuferl nicht erwischt. Aber dafür les ich extra viel. Auch unnötige Sachen, wie Politik.

Was hält Sie gesund?
Der Glaube und das Vertrauen in mich selbst und meine Umwelt helfen mir. Angst kenn ich nicht. Angst ist ein schlechter Berater. Und ich ess nur zweimal im Jahr eine Pizza. 

Wie 86 fühlen Sie sich nicht, oder?
Nein! Ich passe in diese Altersklasse noch nicht rein. Ich bin einfach noch nicht da! Mit den 60-Jährigen könnt ich schon noch mit! (Lacht.)

STECKBRIEF

1981 bis 1993 Obfrau des Oberösterreichischen Behindertensportverbandes
1989 bis 1995 Vizepräsidentin des Österreichischen Behindertensportverbandes
Vorstandsmitglied in der Diözesansportgemeinschaft und im Verein der Querschnittgelähmten VQÖ
1989 Ernennung zur Konsulentin für Sportwesen durch die oberösterreichischen Landesregierung
Einsatz für Gleichstellung des Behindertensports mit dem sogenannten „normalen“ Sport 
Bundesweit bereitete Emilie Schwarz den Weg zur Aufnahme des ÖBSV in die Bundessportorganisation vor
Zwei Teilnahmen an Paralympischen Spielen, 1972 in Heidelberg und 1976 in Toronto, mit zwei Silber- und drei Bronzemedaillen
Goldener Leo für ihr Lebenswerk
ÖBSV Ehrenmitglied

Die Geschichte ist aus dem ÖBSV Jahresbericht 2020