"Wie motiviere ich mehr Menschen mit Behinderung zu Bewegung und Sport"

Rollstuhl-Basketball ist nicht nur eine der ältesten Rollstuhl-Sportarten, sondern auch eine der spannendsten und beliebtesten innerhalb des Rollstuhl-Sports. Die Kombination aus Fahren, Drehen, Stoppen, Fangen und Werfen sorgt für eine große, aber spannende sportliche Herausforderung. Wir nahmen die 1. Runde der aktuellen Rollstuhlbasketball-Liga zum Anlass ein wenig mit Sepp Loisinger, einem erfahrenen Basketballspieler- und -funktionär, zu plaudern.

Lieber Herr Loisinger, die Hopsagasse in Wien war heute der Startschuss zur heurigen Rollstuhlbasketball-Liga. Ihre ersten Eindrücke?

S. Loisinger: Wir haben wieder sehr gute Szenen und Spiele gesehen. Die Spieler/innen zeigten großem Einsatz und Ehrgeiz in ihren Partien. Auch wenn wir - ABSV LoFric Dolphins Wien - heute keine Punkte machen konnten, können wir aus Sicht des Basketballsports in Österreich von einem guten Start in die Saison 2016/2017 sprechen.

Derzeit spielen aber nur Mannschaften aus vier Bundesländern in der Liga?

S. Loisinger: Auch wenn die Harmonie in der Liga in den letzten Jahren sehr gut ist, ist es traurig, dass mit ABSV LoFric Dolphins Wien (W), Flink Stones I (ST), Flink Stones II (ST) Rebound Warriors (OÖ) und Sitting Bulls (NÖ) nur fünf Mannschaften aus Österreich in der Liga spielen. Die WBS (Wheelchair Basket Studánka) aus Pardubice (CZE) spielen als Gast, können daher nicht Meister werden, sie werden aber in der Ligawertung normal gewertet und können somit auch Sieger der Liga werden. Die restlichen Vereine wie Carinthian Broncos (K), RC Enjo Vorarlberg, RSC Tirol und RSV Basket Salzburg I+II spielen in Ligen benachbarter Länder wie Slowenien, Deutschland und der Schweiz.

Warum ist das so?

S. Loisinger: Da gibt es wahrscheinlich viele Gründe. In Summe ist es einfach schade, dass es kein geschlossenes Auftreten aller österreichischen Rollstuhlbasketballvereine in einer oder sogar zwei Ligen gibt. Die Entwicklung in den letzten beiden Jahren geht aber in die richtige Richtung. So ist in der letzten Saison Oberösterreich wieder in die ÖSTM eingestiegen und in dieser Saison tritt Steiermark mit einem zweiten Team an. Es ist somit zu hoffen, dass dies auch die anderen Teams aus Österreich wieder zum Einsteigen in die heimische Liga motiviert.

Bei den Paralympics in Rio haben wir auch heuer wieder tolle Leistungen gesehen. Wie sehen sie den Leistungsstand im internationalen und nationalen Rollstuhlbasketball?

S. Loisinger: Das Rollstuhlbasketball, wie wir in Rio gesehen haben, hat einen sehr hohen und professionellen Level erreicht. Das nationale Leistungsniveau ist mit der derzeitigen Teilnahme in der EM-Gruppe B gut beschrieben.

Was muss oder sollte passieren, dass man sich der Rollstuhlbasketball in Österreich auch in Form des Nationalteams weiterentwickelt?

S. Loisinger: Im Grunde sollte jeder Spieler den Drang haben, mit guter Leistung in das Nationalteam aufgenommen zu werden. Dieser Wunsch ist aber leider nicht bei allen Vorhanden die das Potenzial dafür hätten. Es ist zwar eine deutliche Verbesserung in den letzten Jahren festzustellen, aber gerade für die Spieler der Teams, die nicht an der Österreichischen Liga teilnehmen, fehlt teilweise die Motivation für das Österreichische Nationalteam zu spielen.
Es muss die Bereitschaft wachsen, mehr Zeit in das Training zu intensivieren, um über gute Leistungen in das Nationalteam hineinwachsen zu können. In vielen Ländern wird oftmals zweimal am Tag trainiert, in Österreich oftmals "nur" dreimal die Woche - eine Steigerung des Umfanges und der Intensität muss erfolgen, wenn das Nationalteam bei einer WM oder den Paralympics mitspielen will. Wenn die Bereitschaft da ist mehr in das Training zu investieren, kann man auch fordern, dass mehr in die notwendigen Rahmenbedingungen investiert wird.
Der Umstand, dass Andreas Zankl so viele Funktionen ausfüllen muss (Vereinstrainer, Nationalteamtrainer, Schiedsrichterreferent und Ligaverantwortlicher) ist zwar eine bemerkenswerte Leistung von ihm, jedoch sollte für eine Weiterentwicklung des RS-Basketballsports in Österreich die Verantwortung auf mehrere Personen verteilt werden.

Die Paralympics haben in den letzten Jahren sportlich und medial einen Aufschwung erlebt. Was sind ihre Eindrücke?

S. Loisinger: Selbstverständlich ist diese Entwicklung zu begrüßen. Was mich aber sehr nachdenklich macht ist die Tatsache, dass sich der paralympische Sport in eine Richtung bewegt, wo in vielen Sportarten Sportler/innen mit minimalerem Handicaps bevorzugt werden und es somit immer schwieriger wird, für Sportler/innen mit höheren Handicaps am internationalen Behindertensport teilzunehmen
Bei vielen Teamsportarten geht das Klassifizierungssystem zu sehr in die Richtung, dass man immer weniger Behinderung "braucht", um für den Behindertensport eingestuft zu werden. Die Argumente dafür werden mit größerer Attraktivität des Spiels oder des Sports verbunden, was natürlich teilweise stimmt, aber nicht im Sinne des Sports für Menschen mit Behinderung sein kann. So stellt sich für mich die Frage: Ist das das Ziel des nationalen und internationalen Behindertensports, will man das?

Wie integrativ ist der Rollstuhlbasketball in Österreich?

S. Loisinger: Rollstuhlbasketball ist grundsätzlich sehr integrativ, da einerseits Menschen mit den verschiedensten Behinderungsarten und -schwere miteinander spielen können, andererseits auch die Tatsache, dass auch nichtbehinderte/r Sportler/in beim Rollstuhlbasketball bis zum Niveau unter dem Europacup mitspielen dürfen. So sind bei allen Teams in Österreich auch Spieler/innen ohne Behinderung im Einsatz. Im Grunde auch eine gute Möglichkeit, dass Ex-Basketball-Spielerinnen und Spieler ihr Können und Wissen im Rollstuhl-Basketball einbringen können, was z.B in Deutschland optimal umgesetzt wird, bei uns kaum!

Wie sehen Sie die Entwicklung des Behindertensports in Sachen Inklusion? Was muss das Ziel des Behindertensports dabei sein?

S. Loisinger: Wenn nun immer mehr Top-Behindertensportler/innen in den verschiedenen Fachverbänden ausgebildet und/oder weitentwickelt werden, ist dies für diese kleine Gruppe ein gute Sache. Was aber bei der Inklusion nicht vergessen werden darf ist, wer kümmert sich um die Menschen mit Behinderung die noch nicht zum Sport gefunden haben und auch um die sogenannten Breitensportler/innen. Eigentlich wäre es wichtig, das Potential und Knowhow des Behindertensports mehr zu bündeln, der derzeitige Ansatz der Inklusion ist dabei nicht wirklich förderlich. Das wirklich wichtige ist wohl die laufende Herausforderung: Wie motiviere ich mehr Menschen mit Behinderung zu Bewegung und Sport? Wie kann ich mehr Menschen, die z.B. in den Reha-Zentren optimal umsorgt werden, auch zum Sport bringen? Eine große Herausforderung - man darf aber nicht vergessen, dass es abseits des Vereinssports auch immer mehr Möglichkeiten gibt, dass auch Menschen mit den verschiedensten Behinderungen Bewegung und Sport selbstständig ausüben können.

Danke für das Gespräch!
(Foto: GEPA-Pictures)

Die Ergebnisse der 1. Rollstuhl-Basketball-Runde in Wien vom Samstag, 15. Oktober:

Sitting Bulls - ABSV LoFric Dolphins Wien 83:22
Flink Stones I - WBS Pardubice 62-55
ABSV LoFric Dolphins Wien - Rebound Warriors 32-47
WBS Pardubice - Sitting Bulls 29:88
Rebound Warriors - Flink Stones I 44:94